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Industrieanlagen gelten heute eher als Quelle des Treibhausgases Kohlendioxid. Künftig aber könnten sie dank ihrer Größe wesentlich zur Stabilisierung des Strom- netzes beitragen – indem sie sich stärker an dem Angebot an Ökostrom ausrichten und den Strom auf vielfältige Weise nutzen. In fünf Modellregionen werden jetzt viele solcher Anlagen fit fürs Stromnetz der Zukunft gemacht.
Dass man mit Strom Wasser erwärmen kann, weiß wohl jedes Kind. Denn in jeder Küche dürfte ein Wasserkocher stehen, der auf Knopfdruck sprudelnd heißes Wasser liefert. Der Wasserkocher, der im September 2019 im Heizkraftwerk Reuter in Berlin-Spandau in Betrieb gegangen ist, hat es allerdings in sich: Er hat eine Leistung von 120 Megawatt, etwa so viel wie 60.000 kleine Wasserkocher zusammen. In den Medien wurde er bereits als „größter Wasserkocher Europas“ gefeiert. Doch natürlich ist der rundliche Stahlbehälter von der Größe eines Überseecontainers kein Wasserkocher im eigentlichen Sinne. Das Warmwasser, das er erzeugt, wird in das Berliner Fernwärmenetz eingespeist, um Gebäude zuheizen.
Für gewöhnlich ist es ausgesprochen ineffizient, Wasser mit Strom zu erwärmen. Denn zunächst einmal muss der Strom produziert werden. Das geschieht heute teilweise auch noch in Kraft- werken, in denen Kohle oder Gas verbrannt wird.
Die Hitze treibt eine Dampfturbine an, die über einen Generator Strom erzeugt. Der Wasserkocher wandelt den Strom dann wieder in Wärme zurück. Da bei jeder Umwandlung Energie verloren geht, ist der Umweg von der Kohle über den Strom zum Heißwasser grundsätzlich wenig sinnvoll. Doch bei dem Wasserkocher in Spandau ist es anders: Dort kommt regenerativ erzeugter Strom zum Einsatz, der sonst ungenutzt bliebe.
Die Power-to-Heat-Anlage wurde durch das SINTEG-Programm Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) gefördert. SINTEG hat das Ziel, große Industrieanlagen so ins Stromnetz zu integrieren, dass sie künftig dabei helfen können, die schwankende Einspeisung von Wind- und Sonnenenergie ins Stromnetz abzufedern. Bislang wird die Industrie häufig eher als Verursacher des Klimagases Kohlendioxid betrachtet. Tatsächlich aber können die Industrieunternehmen zu einem wichtigen Baustein eines klimafreundlichen Strommarktes werden – einfach, weil sie große Mengen an Strom bewegen beziehungsweise aufnehmen oder abgeben können.
Insgesamt unterstützt SINTEG fünf regionale Großprojekte in fünf Regionen Deutschlands. In Berlin und den neuen Bundesländern läuft das Großprojekt WindNODE, das neben dem Spandauer Wasserkocher viele andere Teilprojekte auf den Weg gebracht hat. Für die Region Hamburg und Schleswig-Holstein laufen die Fäden an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg zusammen. Am dortigen Competence Center für Erneuerbare Energien und Energie Effizienz (CC4E) ist das zentrale Projektmanagement für das SINTEG-Projekt NEW 4.0 mit 60 Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik zu Hause.
In Sachen erneuerbare Energien hat Schleswig-Holstein die Nase vorn. Übers Jahr betrachtet, kann das Land heute bis zu 160 Prozent des Strombedarfs aus Windenergie decken. In Hamburg hingegen bringen es die Erneuerbaren auf maximal vier Prozent. Künftig könnte das Ökostrom-reiche Schleswig-Holstein zu einem wichtigen Versorger der Hansestadt werden. „Für ein stabiles Gesamtsystem müssen Erzeugung und Verbrauch allerdings optimal in Einklanggehalten werden“, sagt Prof. Werner Beba, Leiter desCC4E.
Entsprechende Lösungen werden mit NEW 4.0 auf den Weg gebracht. Der Zusatz 4.0 deutet an, dass dabei vor allem auf Digitalisierung gesetzt wird, mit der sich das Stromnetz und die Industrieanlagen intelligent verknüpfen lassen. Ein Signal hat vor einiger Zeit das NEW4.0-Teilprojekt Enspire ME gesetzt. In Zusammenarbeit mit dem niederländischen Energieversorger ENECO und dem japanischen Unternehmen Mitsubishi ist an der deutsch-dänischen Grenze bei Jardelund einer der größten Batteriespeicher Europas ans Netz gegangen. 10.000 miteinander verschaltete Lithium-Ionen-Akkus mit einer elektrischen Leistung von rund 50 Megawatt sind hier verbaut. Die Batterien werden ebenfalls mit überschüssigem Ökostrom betrieben. Der gespeicherte Strom ist aber nicht dazu da, Haushalte zu versorgen. Vielmehr hat der Batteriespeicher die Aufgabe, das Netz zustabilisieren.
Viele Fachleute erwarten, dass das ganze europäische Stromnetz in dem Ausbau der erneuerbaren Energien an Stabilität verlieren könnte; erstens, weil sich das schwankende Angebot von Sonne und Wind umso stärker auf das Stromnetz auswirkt, je mehr Ökostrom eingespeist wird, und zweitens, weil mit der Abschaltung großer Kohlekraftwerke die Trägheit der rotierenden Massen der Stromgeneratoren verloren geht, die das Netz stabilisieren. Diese riesigen Massen drehen sich mit einer bestimmten Frequenz, damit der Wechselstrom in den Leitungen konstant mit 50 Hertzschwingt. Weicht die Frequenz um mehr als 0,2 Hertz vom Soll ab, muss der Netzbetreiber eingreifen, um Störungen und Stromausfälle zuvermeiden. Zu Frequenzänderungen kann es kommen, wenn entweder zu viel Strom ins Netz eingespeist oder zu viel verbraucht wird. Minimale Schwankungen sind normal und treten permanent auf. Sie werden durch Anlagen, die sogenannte Regel- energie erbringen, abgepuffert. Das sind heute beispielsweise Gaskraftwerke, die sich in Minuten hoch- oder runterfahren lassen. Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien aber nehmen die Schwankungen zu. Deshalb braucht es mehr Anlagen, die Regelenergie erbringen können. Genau diese Aufgabe kann der Batteriespeicher in Jardelund übernehmen. Er kann ein Zuviel an Windstrom aufnehmen oder auch Strom ins Netz einspeisen.
Parallel zu SINTEG ist mit Unterstützung durch das Energieforschungsprogramm ddes Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Hamburger Hafen noch eine Stromspeichertechnologie realisiert worden: ein elektrothermischer Energiespeicher (ETES), der Hitze in einer Schüttung aus Vulkangestein speichert. Man nutzt überschüssigen Windstrom für ein großes Heizluftgebläse, mit dem das Gestein auf rund 750 Grad aufgeheizt wird. Das gut isolierte Gestein kann diese Temperatur bis zu einer Woche halten. Wenn in Hamburg der Strombedarf steigt, wird die Hitze genutzt, um eine Turbine anzutreiben und die Wärme in Strom zurückzuverwandeln. Der von dem Windkraftanlagenhersteller Siemens Gamesa errichtete Speicher ist im Juni 2019 ans Netz gegangen und beliefert seit dem die Hansestadt Hamburg mit sauberem Strom; mit Überschussstrom, der sonst nie genutzt oder gar erzeugt worden wäre.
Bild „Sektor Energie“: ©Mike Mareen - stock.adobe.com
Bild „SINTEG-Programm im Überblick“: Wärme Hamburg GmbH
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