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Bei Innovationen denken wir zunächst vor allem an technische Lösungen – etwa an bessere Produkte, modernere Produktionsanlagen oder neue Infrastrukturen. Doch Innovationen haben stets auch eine soziale Seite, denn eine technische Neuerung allein ermöglicht zwar gesellschaftliche Veränderungen, sie muss aber auch von den Menschen aufgegriffen werden. Es kommt also auf das Zusammenwirken von technischen und sozialen Innovationen an: So hat uns beispielsweise der Ackerbau sesshaft werden lassen und das Rad im Laufe der Jahrhunderte mobiler gemacht. Schrift und Internet haben etwa den Austausch von Informationen grundlegend verändert. Sozialer Wandel wird auch nicht immer durch technische Innovationen ausgelöst. Ein Beispiel ist die vom deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck im 19. Jahrhundert eingeführte staatliche Sozialversicherung. Das Prinzip: Risiken wie Krankheit oder Invalidität auf viele Schultern verteilen, indem Arbeitgeber und Arbeitnehmer Beiträge in eine Versicherung einzahlen und Bedürftige daraus unterstützt werden. Die Bismarcksche Sozialversicherung hat sich als wichtiger Baustein des modernen Sozialstaats etabliert und wurde von vielen Ländern übernommen.
Sie hat nicht nur die Produktionsprozesse verändert, sondern auch dafür gesorgt, dass Arbeiterinnen und Arbeiter besser entlohnt werden und sich der Wohlstand in den Industrieländern entwickeln konnte. „Soziale Innovation“ ist also kein neues Phänomen, sondern nur ein neuer Begriff. Solche Innovationen finden sich in vielen Bereichen der Gesellschaft. So hat die Umweltbewegung beispielsweise unseren Umgang mit Natur und Ressourcen verändert. Ebenfalls zu den sozialen Innovationen zählen neue Arbeitskonzepte wie Telearbeit, Leiharbeit und Mini-Jobs oder Carsharing-Angebote, die unser Konsumverhalten verändern – auch wenn es zum Teil Nischenangebote sind, die nicht von der Mehrheit der Bevölkerung genutzt werden.
Die vielen unterschiedlichen Beispiele zeigen, wie groß die Bandbreite ist und warum es schwierig ist, eine allgemein gültige Definition von sozialer Innovation zu finden. Was aber all diese Beispiele gemeinsam haben: Menschen weichen dauerhaft von gewohnten Schemata ab. Das veränderte Verhalten wirkt sich mit sichtbaren Folgen nicht nur auf Einzelne, sondern auch auf die gesamte Gesellschaft aus. Der Soziologe Wolfgang Zapf hat soziale Innovationen als neue Wege beschrieben, um Ziele zu erreichen.1 Dazu zählt er insbesondere neue Organisationsformen, neue Regulierungen und neue Lebensstile, die die Richtung des sozialen Wandels verändern. Bei dieser Definition spielt es keine Rolle, ob die Veränderung geplant war. Eine andere Definition lautet: „Soziale Innovationen sind neue Lösungen, die gesellschaftliche Herausforderungen kontextbezogen, zielgerichtet und das Gemeinwohl fördernd adressieren.“2 Hier steht bewusst das Ziel einer besseren Gesellschaft im Fokus.
Der Begriff „soziale Innovation“ ist keine Modeerscheinung, wie der Dortmunder Sozialwissenschaftler und Innovationsexperte Prof. Jürgen Howaldt betont. Auch ist es kein Thema, das ausschließlich akademisch diskutiert wird. Politik und Wirtschaft in Deutschland haben erkannt, dass sich komplexe gesellschaftliche Herausforderungen nicht mehr alleine durch technische Neuerungen bewältigen lassen. Neue soziale Praktiken oder ein veränderter Lebensstil sind mindestens ebenso wichtig, um Energie und Ressourcen zu sparen, Sicherheit und Gerechtigkeit zu gewährleisten sowie Bildung und Arbeitswelt zu verbessern. Hinzu kommt, dass sich unsere Industriegesellschaft in eine Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft verwandelt. Dienstleistungen, Handlungsweisen sowie Organisationsformen gewinnen an Bedeutung. Für Unternehmen wird es zunehmend wichtiger, sich vorausschauend auf komplexe Innovationsprozesse einzustellen und auch potenzielle Anwenderinnen und Anwender einzubeziehen.
Um die Innovationskraft Deutschlands zu stärken, sollen die sozialen Impulse für das Innovationsgeschehen stärker beachtet werden. In allen sechs Themenfeldern der „Neuen Hightech-Strategie“ sollen gesellschaftliche Veränderungsprozesse angestoßen, Bürgerpartizipation eingeführt sowie Dienstleistungs- und soziale Innovationen entwickelt werden. Das bedeutet auch, die Gesellschaft anzuregen, selbst Lösungen zu finden. Bürgerinnen und Bürger werden somit zu Akteuren. Zugleich geht es der Bundesregierung darum, Forschung transparenter und kohärenter zu gestalten.
„Das sind alles Entwicklungen, die für uns als Projektträger wichtig sind. Schließlich ist es eine unserer Aufgaben, Ideen zu entwickeln und Anregungen zu geben, wie Innovationssysteme und Rahmenbedingungen für Innovationen aussehen könnten“, sagt Dr. Christian Stienen, Leiter des Projektträgers Jülich (PtJ). Das neue Verständnis von Forschungs- und Innovationspolitik spiegelt sich nach seiner Einschätzung bereits heute in der nationalen Förderpolitik wider. So betreut PtJ in Förderprogrammen verschiedener Bundesministerien Projekte, bei denen auch das Entscheidungsverhalten Einzelner erforscht und neue soziale Praktiken erprobt werden sollen. So etwa spielt die Einbindung der Zivilgesellschaft bei Energiewende und Klimaschutz in den „Kopernikus-Projekten“ oder in der „Nationalen Klimaschutzinitiative“ eine zentrale Rolle. Die Förderlinie „Soziale Innovationen für Lebensqualität im Alter“ (SILQUA-FH), die PtJ ebenfalls betreut hat, beschäftigt sich mit den Herausforderungen des demografischen Wandels. Hier wurden Konzepte, Modelle und Methoden entwickelt, damit ältere Menschen am gesellschaftlichen Leben und am Arbeitsleben teilnehmen können. Eine besondere Herausforderung ist es, eine gesellschaftliche Perspektive, die Ökologie, Technik und Wirtschaft mit einem Verständnis für sozialen Wandel verknüpft, in naturwissenschaftlich und technisch ausgerichteten Förderbereichen zu verankern. Ein Beispiel hierfür ist das Dachkonzept „Bioökonomie als gesellschaftlicher Wandel“ im Rahmen der „Nationalen Forschungsstrategie BioÖkonomie 2030“, ein weiteres sind neue Formen der dezentralen Wasserversorgung und Nahrungsmittelproduktion in Städten im Rahmenprogramm „Forschung für Nachhaltige Entwicklung“ (FONA).
...dass mit neuen Formaten der Partizipation und mit neuen Förderinstrumenten experimentiert werden muss“, so Stienen, „allerdings gibt es noch ungeklärte Fragen, was soziale Innovationen anbelangt. Neben einer eindeutigen Definition, die wir aus meiner Sicht brauchen, muss die Wissenschaft etwa noch Entstehung, Wirksamkeit, Verbreitung und Übertragbarkeit der sozialen Innovationen genauer erforschen.“ Das Potenzial ist dennoch schon heute groß. „Gerade FONA ist ein Programm, bei dem die Verbindung von technischen und sozialen Innovationen immer wichtiger wird“, betont der PtJ-Leiter. So würden neue Techniken alleine nicht ausreichen, um sorgsam mit wertvollen Ressourcen wie Wasser oder Fläche umzugehen. Es gelte beispielsweise Anreize zu schaffen, damit etwa weniger Antibiotika im Abwasser landen. Um dies zu erreichen, müssten die Menschen ihr Verhalten ändern. Ebenfalls wichtig seien Beteiligungsverfahren, damit Bürgerinnen und Bürger in wichtige Entscheidungen eingebunden werden. So mache die beste Technik für die Energiewende keinen Sinn, wenn die Menschen sie nicht annehmen.
Soziale Innovationen könnten daher wichtig werden, damit Ergebnisse der geförderten Projekte auch in der Praxis angewendet werden. „Die Überprüfbarkeit von Forschungsprogrammen und -projekten ist für unsere Auftraggeber ein wichtiges Thema, über das wir gemeinsam mit ihnen nachdenken“, berichtet Stienen, „verständlicherweise ist es für Ministerien wichtig zu erfahren, welche Wirkung die entwickelten Maßnahmen später tatsächlich haben.“ Denkbar sei, schon bei der Ausschreibung eines Programms die Förderziele mit konkreten, überprüfbaren Kriterien zu hinterlegen. Neben der Umsetzung und der Begleitung von Förderprogrammen setzen die Ministerien bereits heute auf Evaluationen und das Instrument der Begleitforschung, um zu erkennen, ob Methoden oder Neuerungen sich wirklich dauerhaft durchsetzen. „Gerade in diesem Bereich wollen wir uns in Zukunft noch stärker engagieren. Das entsprechende Know-how haben wir. Wir sind fachlich breit aufgestellt und haben Erfahrungen mit Förderinstrumenten, die die gesamte Innovationskette abdecken“, so Stienen.
PtJ ist zertifiziert nach DIN EN ISO 9001 : 2015 und ISO 27001 auf Basis IT-Grundschutz